Jaspar schaute von seiner Schriftrolle auf. Aufjauchzend lief Vivipara durch das knöcheltiefe Wasser von Efferds großem Ozean. Jaspar war froh, dass das Treffen der Geweihten der Tsa dieses Jahr in Neetha stattfand. So konnte er Vivipara das Meer zeigen. Das Meer hatte schon immer eine große Anziehung auf ihn ausgeübt und Vivipara schien es nicht anders zu gehen. Lächelnd beobachtete er die Dreijährige, die mit Feuereifer alles untersuchte und ausprobierte – den Geschmack der salzigen Meerluft, das Gefühl der Wellen auf den bloßen Füßen, das Aufspritzen des Wassers, wenn man mit den Händen hineinschlug; jeder Stein und jede Muschel wurde umgedreht und als Wunder bestaunt.
Wieso verlor man diese kindliche Freude und Entdeckerlust mit dem älter werden? Wieso konnten die meisten Menschen nicht weiterhin die Gaben der Götter bestaunen und Freude an Ihnen empfinden. Er dankte seiner Göttin, dass sie ihm die Gabe wiedergegeben hatte, die auch er so schnell verloren hatte. Würde er es schaffen, dass Vivipara diese Freude beibehalten konnte? Sie war so neugierig, wollte alles erkunden, alles wissen. Er versuchte ihr möglichst keine Schranken aufzuerlegen, auch wenn ihre Abenteuer ihm manchmal gefährlich erschienen, vertraute er darauf, dass Tsa ihm nicht dieses Geschenk geschickt hätte, um in sein Leben wieder Wandel und Fröhlichkeit zu bringen, um es dann zu schnell wieder zu sich zu rufen. Und wenn es so sei – ein Kloß bildete sich in seinem Hals – würde er ihr auch für die kurze Zeit danken, in der er die Freude eines Kindes wieder erleben durfte.
Er hatte mit dem Lehnsherren gesprochen und die Erlaubnis bekommen das Kind im Namen Tsas aufzuziehen, solange es keine Zusatzkosten für die Gemeinschaft bedeutete. Das hieß, dass sie keinen Frondienst verrichten und keine Pacht zahlen werden müsse, solange sie mit ihm im Anbau des Tsatempels lebte. Sie würde sich selbst entscheiden können, welchen Weg sie einschlagen würde. Und er würde dafür sorgen, dass sie die Auswahl kennenlernen konnte.
Er war von der außergewöhnlichen Intelligenz und Anmut seiner Tochter – er liebte das Wort – überzeugt, aber er wusste, dass hier der Vaterstolz aus ihm sprach. Sie würde lernen müssen, wie alle anderen und sie würde mithelfen müssen im Tempel, aber sie würde eine Wahl haben, die viele andere Aventurier selbst hier im Lieblichen Feld nicht hatten, sie würde keinen Lebensweg inklusive Beruf und Partner von den Eltern oder der Umgebung vorgegeben bekommen. Sie würde wählen dürfen, und der Gedanke machte ihn froh.
Die Zeit war gekommen sich wieder mit der Gruppe zu treffen. „Vivipara, komm wir müssen zurück.“ Vivipara sprang in die Wellen, als ob sie ihn nicht gehört hätte, wäre nicht ihr Kopf bei seinem Ruf kurz in seine Richtung gezuckt, hätte er es vielleicht geglaubt. Lachend stand er auf „Komm schon, wir kommen ja wieder her und dann kannst du entdecken, was sich bis dahin alles geändert hat. Erinnere dich wie toll dir gestern der Sonnenaufgang gefallen hat, obwohl du gar nicht aufstehen wolltest. Jetzt willst du nicht mitkommen, aber vielleicht wird es ja auch toll?“ Vivipara kam nun doch angelaufen und schaute Jaspar mit großen Augen fragend an. „Tolles?!“ „Ja, vielleicht. Wir müssen es nur erkennen.“ lächelte Jaspar zurück.
Als sie sich durch das verdorrte Gras und zwischen den wilden Feigenbäumen Richtung dem Lager der Tsageweihten bewegten, hatte Vivipara bereits viele neue Entdeckungen gemacht und berichtete Jaspar von diesen – und auch etliche Feigen hatten sie gemeinsam für das Dessert in Jaspars Umhang gesammelt.