Mädchen, Magier, Menschenfresser
12. Phex 1040 BF
Missmutig schüttelte Morasch den schlaffen Lederschlauch, obschon ihm klar war, dass der letzte Schluck Bier im verfluchten Nebelmoor seine durstigen Lippen befeuchtet hatte. Was mussten die Großlinge auch so empfindliche Mägen haben? Ferdijin hatte im Moor aus einem Bach getrunken und dafür mit Magenkrämpfen bezahlt.
Morasch hob einen Kiesel auf und schleuderte ihn in Richtung des Waldweges, der sie wieder nach Düsterrode führen würde. Das seichte Gebräu dort wäre kein richtiger Ersatz für das gute Zwergenbier, doch allemal besser als Quellwasser. Dem Durst, den er gerade jetzt verspürte, half das jedoch nicht zu beheben. Hätte er seine Biervorräte bloß nicht mit den beiden Knaben geteilt. Was war schon ein wenig Bauchgrimmen gegen das Ungemach, das ihm nun bevorstand.
Ein weiterer Stein flog den Waldweg entlang, begleitet vom Seufzen Moraschs. Trockenlegen sollte man den Sumpf und hinterher abfackeln, mit all dem stinkenden Gezücht darin, bei Angroschs Bart! Alles Drachenwerk!
Schlecht gelaunt schaute er zur Winlanjor, der ausgestreckt im Gras liegend in der Mittagssonne döste. Da hatte man schon ein Spitzohr dabei und dann fand es keine Spuren im stinkenden Moor. Hatte nur was von Schneeschmelze und Wasser, das die Fährte verwischte gefaselt. Pah, die Rotpelze bei der Legion hätten die Räuber sicher aufgespürt. Und Ferdijin hatte sogar die verdammte Schönheit gepriesen, weil die Schurken nun Gelegenheit hätten, ihr Handeln zu überdenken. Irgendetwas Schweres musste dem Burschen einst auf sein weißhaariges Haupt geplumpst sein.
Ohne die beiden wäre er sicherlich besser dran, aber diese jugendlichen Hitzköpfe benötigten seine Erfahrung und Rat, um in der sich ändernden Welt ihren Platz zu finden.
Nachdenklich streifte Morasch die Panzerhandschuhe ab und zog das Amulett unter seinem Kettenhemd hervor. Eine sich ändernde Welt: die Weltzeitwende ...
Während seine Finger bedächtig über die Angramrunen, die auf der Fassung aus Zwergenstahl prangten, strichen, betrachtete er den beinahe schwarzen Stein, den er unter Anleitung eines Angroschpriesters geschliffen hatte. Ein Himmelsstein, von ihm selbst gefunden an jenem Tag, als ihn zum ersten Mal Träume geplagt hatten. Ein Angroschim, der träumt, er hatte gleich gewusst, dass dies bedeutend sein musste. Der Priester hatte ihm erzählt, dass auch Hochkönig Albrax von Träumen heimgesucht wurde und seinem Volk eine Heldenzeit verkündet hatte.
Grummelnd verstaute er das Kleinod wieder unter dem Kettenpanzer. Die Träume hatte der Angroschpriester als Zeichen gedeutet, aus der Heimat aufzubrechen. Nur wohin er gehen sollte und was zu tun sei, darüber schwiegen sich die Eingebungen aus.
»Jemand nähert sich«, rief Winlanjor und beendete damit die nutzlosen Gedanken des Zwergs. »Ein einzelner Reiter.« Der Halbelf lauschte mit zusammengekniffenen Augen. Die Sinnesschärfe des Spitzohrs war wahrlich beeindruckend. »Nicht sehr schnell unterwegs.«
Nun konnte auch Morasch das dumpfe Aufsetzen beschlagener Hufe auf festgestampfter Erde wahrnehmen. Der Reiter kam aus derselben Richtung wie er und die Gefährten. Für einen kurzen Moment keimte die Hoffnung auf, es könne einer der Räuber sein. Ferdijin hatte bei ihrer Verfolgung Hufspuren entdeckt und das Entkommen der Schurken auf diesen Umstand zurückgeführt.
Zu Moraschs Bedauern kam jedoch ein Geweihter der Kriegsgöttin um die Biegung des Waldweges geritten. Der braune Hengst wirkte ausgeruht, der weiße Umhang mit der roten Löwin strahlte ebenso, wie der Wappenrock über dem blankpolierten Kettenhemd. Eilig hatte der Diener der Leuin es in letzter Zeit nicht gehabt.
»Sieh mal an, jetzt bequemen sich auch die Rondrianer aus Reichsend, dem Hilfegesuch des Edlen zu folgen«, frotzelte Winlanjor, jedoch so leise, dass der Geweihte seine Worte nicht vernehmen konnte.
Jener setzte, als er der Gefährten gewahr wurde, ein strahlendes Lächeln auf und strich sich durch das braune Haar, das in leichten Wellen bis auf die Schultern fiel.
Morasch schaute vom Rondrianer zu Ferdijin. Beide Großlinge trugen die tiefen Narben eines Prankenhiebs auf der Wange, nur dass die von Ferdijin jünger und rosiger waren. Seltsamer Zufall.
In einer fließenden Bewegung glitt der Geweihte vom Sattel »Rondra zum Gruße! Mein Name ist Oromé Rondrasturm von Donnerbach, Knappe der Göttin.«
»Grüß dich, Diener der stürmischen Schwester und preise die Schönheit, ob des Glücks uns getroffen zu haben! Mich nennt man Ferdijin den Geshwedzigen und der Kurzgrummige dort ist Morasch Sohn des Morac.«
Morasch verdrehte die Augen. Der Maraskanerbengel musste sich immer gleich mit jedem verbrüdern ... oder eher verbruderschwestern. Missmutig griff er seinen Rundschild und musterte den Geweihten. »Bist auf’m Weg nach Düsterrode, was? Kannst du direkt vergessen, noch Sold abzugreifen! Gibt da nix mehr zu tun.«
»Einen Sold haben wir doch auch nicht erhalten, Bruderschwester. Schließlich haben wir die Spur der Shazaks verloren.«
»Verdammtes Drachenwerk!«
Entschuldigend hob Ferdijin die Hände, während er den Rondrageweihten ansah. »Sie hatten Pferde und einen Vorsprung. Im Nebelmoor verwischte sich ihre Fährte.«
»Hätten sie gewiss bekommen, Junge. Alles Drachenwerk!«
»Oder ... Pferde. Sei’s drum, der Weltendiskus fliegt weiter und neue, bedeutendere Aufgaben warten auf uns.« Jovial legte er eine Hand auf die Schulter des Geweihten und sah ihm tief in die Augen. »Wir sollten gemeinsam reisen. Dann sind wir zu viert.«
Als wäre das ein Argument ... Morasch grunzte und stapfte zu seinem Pony. Der Bengel schwafelte so viel Unsinn, dass die Ohren schmerzten.
»Gerne begleite ich euch, denn mein Ziel ist in der Tat Düsterrode. Doch Gevatter Morasch muss sich keine Gedanken machen. Ich bin nicht des Soldes wegen auf Reisen, sondern um in Rondras Namen Heldentaten zu bestehen.«
Hohles Geschwätz. Von Heldentaten allein konnte man weder essen noch seine Ausrüstung in Schuss halten. Unter einem Vorwand würde der Rondrianer die Hand aufhalten.
»Und wie ist dein Name?«, wandte sich der Geweihte an den Halbelfen.
»Winlanjor«, murmelte der, Oromé mit grimmigem Blick bedenkend.
Die Unfreundlichkeit in der Stimme Winlanjors übergehend, zwinkerte der Geweihte ihm zu. »Sanya sala!«
Das Pony wieder auf den Weg führend nickte Morasch Oromé zu. »Sprichst besser elfisch als der Junge.«
»Mein Noviziat verbrachte ich in Donnerbach. Da kommt man um ein paar Brocken Isdira kaum herum. Zuletzt war ich aber in Reichsend am Tempel der Göttin.«
»Und warum bist du so spät?«, hakte Winlanjor nach. »In Wolfspfort hieß es, man hätte schon vor Wochen nach den Rondrianern in Reichsend geschickt.«
»Die Nachricht wurde zurückgehalten. Einer der Büttel in Reichsend hatte sich mit den Schurken gemein gemacht. Vor einigen Tagen tauchte Eldora dann plötzlich in Reichsend auf, wohl eskortiert von euch wackeren Recken. Leider wart ihr schon fort, als der Vogt euch seinen Dank ausdrücken wollte. Jedenfalls schmort der Verräter im Verlies und wird bald seiner gerechten Strafe zugeführt. Mein Auftrag ist es, nach Düsterrode zu reiten, um mehr über die Vorgänge herauszufinden. Mir scheint, euch zu treffen erleichtert meine Suche beträchtlich.«
»Die Welt ist schön! Brechen wir auf, wir müssen den Düsterrodijis mitteilen, dass die beiden Räuber noch auf freiem Fuß sind.«
Winlanjor seufzte. »Das wird kein Wiedersehen mit Freude, nachdem, was letztes Mal passiert ist.«
Oromés fragender Blick genügte, um den Halbelfen zum weiterreden zu bewegen. »Diese engstirnigen Dörfler teilten meine Meinung nicht, dass jedes Volk Deres grundsätzlich das Recht hat, in Frieden zu leben. Sogar Orks und Goblins!«
Morasch nickte. »Das lernt man bei der Legion. Es gibt in jedem Volk Arschlöcher und feine Kerle.«
»Ach, Bruderschwestern, ihr überseht, dass die Maraskaner ein auserwähltes Volk voller feiner Kerle sind.«
Winlanjors Augenbrauen wanderten in die Höhe, während er Ferdijin mit spöttischem Blick betrachtete. »Nur die nicht ganz so feinen, jagen sie von ihrer Insel, wie mir scheint.«
Lachend liefen Maraskaner und Halbelf voran, während Morasch an der Seite Oromés schritt. Die Miene des Rondrianers war bei Winlanjors Erklärung unbewegt geblieben, sodass Morasch nicht einzuschätzen vermochte, wie der Geweihte zu dessen Sichtweise stand. Nun jedoch umspielte ein Lächeln die Lippen des Löwinnendieners. Immerhin hatte der Knabe Humor.
»Gegen Abend werden wir Düsterrode erreichen«, begann Morasch ein Gespräch mit ihm. »Solltest aber nicht zu viel vom Bier und Schnaps der Dörfler erwarten, Junge. Ferdijin wird dennoch mit dir trinken wollen, um auf die Schönheit oder sonst was anzustoßen.«
»Mhm, nun ja, das werde ich ihm nicht abschlagen können, doch Ihr werdet mich beizeiten ablösen müssen, Meister Zwerg. Ich vertrage Alkohol nicht gut.«
Morasch bedachte den Geweihten mit einem mitfühlenden Blick. »Bist ja auch noch ein halbes Kind. Das wird schon noch, wenn dir erstmal ein ordentlicher Bart sprießt. Mach dir da mal keine Sorge, Junge.«
***