Nachdem ich damals in der Land-Box all diese Rechtstexte (teilweise in früheren Publikationen erwähnt) veröffentlichte und beschrieb:
Ich halte es für verständlichen, aber spielfeindlichen Komplettisierungsdrang, solche Texte auszuformulieren:
Erstens hat kein einzelner Autor (schon gar nicht mit 25 oder 30) die Lebenserfahrung, solch ein für Jahrhunderte gedachtes Gesetzeswerk auch nur halbwegs umfassend zu formulieren. Texte dieser Art werden von Herrschern in Auftrag gegeben und von ganzen Gremien von Experten über Jahre erstellt. Es bräuchte ein ganzes Forum von Spielern, die über Jahre ihre Erfahrungen zusammen tragen, WAS geregelt werden muss - und dann kommt überhaupt erst die Frage, WIE es geregelt wird. (Seht euch an, wie lange die EU darum ringt, eine gemeinsame Rechtsnorm zu erstellen.)
Offen gesagt wäre der Großteil des Inhaltes auch "Wer muß den Brunnen des Dorfes instand halten?", "Muss eine Jungfrau vor dem Geschlechtsverkehr mitteilen, dass sie eine ist?" und "Muss der Pferdehändler, der Hufschmied oder der Pferdebesitzer das verlorene Hufeisen ersetzen?"
Das ist nämlich der tatsächliche Inhalt der meisten Rechtssammlungen von Hammurabi über Salomon und Konfuzius bis zu Friedrich II. - weil das die echten Probleme normaler Leute sind.
Die Regel, die noch am nächsten zu Abenteurerproblemen läge, wäre vermutlich: "Wenn A etwas von B gestohlen wird und B es an C verkauft, wem steht dann das Geld rechtmäßig zu?"
Möglicherweise kennt ihr ja den Klassiker:
Die zehn Gebote Gottes enthalten 279 Wörter,
die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 300 Wörter,
die Verordnung der europäischen Gemeinschaft über den Import von Karamellbonbons aber exakt 25911 Wörter.
Darauf meine Antwort: Dementsprechend sehen die Ergebnisse ja auch aus.
Auf europäische Karamellbonbons kann man sich halbwegs verlassen; zumindest sind sie nicht übermäßig giftig.
Aber die USA werden nicht durch ihre Unabhängigkeitserklärung geregelt, sondern durch eine wahnwitzige Sammlung von Präzedenzfällen (= frühere Entscheidungen), bei der zu jedem Urteil zigtausende andere durchforstet werden müssen; das Ergebnis ist eine grauenerregende Rechtsunsicherheit, die zu den berüchtigten Schadenersatz-Absurd-Urteilen führt, aber ebenso dazu, dass echte Opfer völlig leer ausgehen.
Und auf den zehn Geboten kann man nicht einmal die Gesellschaft eines steinzeitlichen Hirtenstammes aufbauen (sonst hätte das restliche alte Testament ja nie geschrieben werden müssen), geschweige denn einen modernen Industrie-, Sozial-, Militär- und Bürokratiestaat.
Soweit zum praktischen Anspruch, so eine Rechtssammlung zu erstellen.
Noch entscheidender ist aber die Tatsache, dass kaum ein Spielleiter ernsthaft so eine Sammlung haben möchte. Willst du das typische Fehlverhalten eines Helden vor dem Richter nach einer "realistischen" mittelalterlichen Gesetzessammlung aburteilen, bei der du zehn verschiedene Tatbestände prüfen musst. War es Totschlag, Mord, Notwehr, Notwehrexzess, Beihilfe, Unfall? Und dann erhältst du als Ergebnis, dass der Held mit 15 Jahren Zuchthaus bestraft wird oder 10 Schekel Silber Wergeld bezahlen muß?
Ich denke, was du eigentlich möchtest, ist eine Szene, in der du den Helden in eine juristische Zwickmühle bringst und diese Szene möglichst dramatisch lösen möchtest. Und dafür hättest du gerne ein paar Anregungen, was einem Held so drohen kann. Aber dafür brauchst du nur ein paar exemplarische Fachausdrücke, Tatbestände, Strafen und Urteile.
Im Gegenteil: Die Stimmung im Gerichtsaal lebt ja davon, dass der Held sich bedrohlichen Elementen einer unverständlichen Gesamtordnung gegenübersieht.
Hast du schon einmal einen modernen Krimi gesehen, indem dem Helden zu Beginn des Filmes oder Buches ein Verwaltungsverfahren wegen Steuerhinterziehung oder eine Verurteilung wegen Verschleppung der Alimentationsverpflichtungen droht?
Nein, die Leute sitzen in der Todeszelle und brechen aus, um eigenhändig Beweise für ihre Unschuld zu sammeln. Oder die NSCs sitzen in China oder Iran im Knast, wo ihnen barbarische Strafen drohen, und die Helden arbeiten daran, sie zu entlasten oder gewaltsam zu befreien. Das ist Recht in der Unterhaltung.
Wenn du echte Jurisprudenz haben willst, dann lies die Nutzungsbedingungen für dein WINDOWS. Alle zwanzig Seiten. Und wenn du das auf Fantasy haben willst, ersetze "In diesem Fall ist dieser Vertrag nichtig" durch "... wird der Vertragspartner zum Tod durch Rädern verurteilt". Das macht den Text fantastischer, aber nicht spannender.
Und um jetzt etwas Positives einzubringen, hier meine Lieblingsszene, in der ich Gesetze einbrachte:
Spielwelt war Mythomar, eine deutlich buntere und barbarischere Welt als die gängigen Rollenspielwelten, speziell Aventurien.
Der Held war ein junger Riese. Während seine Gefährten sehr wohl zwischen Dungeon und Stadt unterscheiden konnten, griff er auch in der Stadt bei jeder Gelegenheit zu seinem Morgenstern. Ich habe vergessen, wen in der Taverne er als ersten erschlug; jedenfalls nahm er einige Stadtwachen mit, bis er überwältigt wurde.
Es war klar, dass ich Spieler wie Held klar machen mußte, was Wildnis bedeutet und was Zivilisation. Da der Held sich vor Gericht als Gefolgsmann des regionalen Piratenhäuptlings Floris ausgab (eine Mischung aus Bewunderung für einen NSC und jugendlicher Rebellion), grub ich ein "altes Piratengesetz" aus. Er wurde zum Tod im Krabbenbottich verurteilt. Man brachte ihn im Ketten zum Hafen, wo bereits ein riesiger Zuber voll hungriger Krabben wartete sowie ein Fass mit Öl und Fackeln.
Da der Spieler noch immer alles für einen Witz hielt bzw. mir nicht zutraute, dass es nun ernst wurde, wechselte ich auf seinen Humor. Die Bevölkerung begann zu schreien: "Krabbencocktail, Krabbencocktail, endlich wieder ein Krabbencocktail!" Da wurde ihm endlich gruselig. Die meinten das ernst.
Seine Mitspieler waren teils gesetzestreu und teils zu feig, um ihm zu helfen, und sein vermeintlich bester Freund stand mit der gleichen Sensationslust in der Menge.
Jetzt wurde er wirklich nervös.
Natürlich habe ich ihn nicht umgebracht. Eine Hure sprang ihn an, beschimpfte ihn und steckte ihm ein Delphinamulett zu. Er begriff das Symbol, kämpfte sich im letzten Augenblick frei und sprang mit den schweren Ketten ins Hafenbecken. Dort verwandelte er sich in einen Delphin.
Er fand dann heraus, dass Floris - von seiner öffentlichen Loyalitätserklärung beeindruckt - ihn rekrutiert hatte. Und wir bekamen eine richtig schöne Piratenkampagne.
Aber bei all den herrlichen Gemetzeln auf Schiffen genügte es immer, über Piratenjäger aus der Stadt zu sprechen, und unser junger Riese reagierte sehr respektvoll und war plötzlich sehr bereit, auf gewisse Risiken zu verzichten.
Und als der andere Held später darauf bestand, sich von einem Succubus verführen und ausgerechnet auf den Altar des Sonnentempels von Aurika locken zu lassen, hatte er darauf die Paladine von Aurika am Hals. Und alle in der Runde wussten, dass das Gesetz dieser Stadt sie mit unvergleichlich härterer Wucht treffen würde, wenn sie nicht sehr vorsichtig waren, und verdrückten sich etwa 1000 Meilen weit in ein anderes Gebiet, um ein neues Kapitel zu beginnen.
Kurz: Aus einem unkontrollierbaren Charakter wurde ein Held, der selbst sehr gefährlich war, aber auch wusste, dass er sich nicht mit der ganzen Welt anlegen konnte. Er selbst war gesetzlos – aber die Welt nicht.