Aufbruch

  • Lieber Jasango, lieber Sohn,

    wenn du diesen Brief liest bedeutet das, dass ich den Weg allen Fleisches gegangen bin und dir jetzt nicht mehr als Vater oder auch als Lehrmeister beistehen kann.

    Sollte ich in den letzten Jahren zu streng mit dir gewesen sein, verzeihe mir bitte, aber die Welt außerhalb meines geliebten Waldes ist hart und ich weiß genau, dass es dich nicht hier in Erkenstein halten wird. Auch du hast sie schon von ihrer harten Seite erlebt, aber du warst damals zu jung um dich wirklich daran zu erinnern. Ich wollte dich nur vorbereiten.

    Aber ich schweife ab. Eigentlich habe ich diesen Brief begonnen um dir auf diese Weise etwas zu erzählen, was ich persönlich nie konnte. Selbst jetzt, wenn ich nur versuche meine Gedanken zu sammeln, spüre ich wie mich wieder die Sehnsucht nach ihr überkommt und wie die Trauer sie nicht bei mir zu haben groß wird. Es geht um deine Mutter.

    Aber ich sollte von Anfang an erzählen.

    Ich war nicht mehr ganz jung, als ich beschloss mich von der hektischen Welt da draußen etwas zurückzuziehen und meinen Wald suchte. Ich hatte keine Ahnung, wo ich suchen sollte, aber ich wusste genau, dass ich ihn finden würde. Die Erdmutter würde mich leiten. Ich musste nur ihre Zeichen richtig deuten.

    Also suchte ich mir einen Platz, an dem ihre Kraft groß war und lauschte. Ich lauschte mit den Ohren, mit den Gedanken, mit dem Herzen und schließlich auch mit den Wurzeln und Blättern des Baumes zu dem ich geworden war.

    Tatsächlich spürte ich, wie Sumus Hände an meinen Wurzeln zupften und wie der Wind in meinen Blättern mich in eine bestimmte Richtung drängte.

    Wieder Mensch wanderte ich viele Tage nach Norden und fand schließlich den Platz, den die Erdmutter für mich vorgesehen hatte. Mitten in einem kleinen Eichenwäldchen speiste eine Quelle einen kleinen Bach, der sich dann nach mehreren Meilen in einem großen Strom verlor. Einsam und abgelegen war die Stelle und doch ideal, da es an der Mündung des Baches ein Dorf gab, in dem ich die Dinge besorgen konnte, die ich nicht selber herstellen konnte.

    Ich baute mir eine Hütte und lebte dort viele Jahre glücklich und zufrieden. Ich beschützte den Wald und der Wald beschützte mich.

    Bis ich dann eines Tages Besuch erhielt. Ich kann es dir wahrscheinlich nicht richtig erklären, da du eher dem Wasser zugeneigt bist und nicht, wie ich, dem Humus, aber ich versuche es einfach.

    Stelle dir vor, du wärst ein Teich. Wenn jemand hinein springt, weißt du durch die Wellen sofort, wo er ist. Gießt aber jemand Salzwasser hinein, merkst du, dass etwas anders ist, kann es aber nicht genau definieren.

    Genauso ging es mir in meinem Wald. Ich wusste immer sofort, wenn etwas Fremdes in ihn eindrang, aber in diesem Fall nicht. Die Fremden schienen eins mit ihn zu werden, wie sich das Salz- mit dem Süßwasser vermischt und hinterließen doch den Geschmack des Andersseins.

    Es dauerte Wochen bis ich schließlich herausfand was los war. Eine Waldelfensippe hatte ich ein paar Meilen entfernt in einem anderen Waldstück niedergelassen und nutzte nun auch meinen Wald als Jagdgebiet. Aber da sie ein Teil des Waldes waren, ließ ich sie gewähren.

    Es ging mir mit ihnen wie mit vielen von unseren Nachbarn hier in Erkenstein. Man kennt sich, grüßt sich und lässt sich sonst in Ruhe.

    Ich habe nie erfahren, woher sie gekommen sind, ich weiß nur wie sie starben, wenn auch nicht warum.

    Eines Nachts waren die Elemente in Aufruhr. Ich spürte die gierige Fresssucht des Feuers, die heftigen Winde der nach oben strömenden heißen Luft und ich hörte die verzweifelten Schreie des Humus.

    Ich war zu weit weg um zu helfen, aber am nächsten Tag sah ich das Grauen. Das Wäldchen, in dem die Elfen lebten, war niedergebrannt worden. Er muss an mehreren Stellen gleichzeitig angezündet worden sein, so dass es nur noch einen Ausgang gab und an diesem Ausgang wurden die fliehenden Elfen dann grausam dahin gemetzelt. Wie ich an den Spuren erkennen konnte, waren die Angreifer eine gemischte Truppe aus Menschen, Orks & Goblins, aber mehr als die Spuren sah ich von Ihnen nicht. Sie waren schon weg bevor ich eintraf.

    Es gab nur eine Überlebende. Die Elfe hatte auch böse etwas abbekommen und war mehr tot als lebendig, aber bei dem Kampf war ein Elfenkrieger auf sie drauf gefallen und so war sie den Mördern entgangen.

    Ich schaffte es sie nach Hause zu bekommen und pflegte sie gesund. Es dauerte über einen Monat bis sie das Bett wieder verlassen konnte und fast drei bis ihre Bewegungen wieder die natürliche Eleganz ausstrahlten, die sie vorher ausgezeichnet hatten.

    In der Zeit verliebte ich mich in sie. Ich liebte alles an ihr. Ihre unbeholfenen Bewegungen, wenn sie meine Suppe löffelte, die leichte Röte, die über ihre Wangen zog, wenn ich sie wusch, ihrem melancholischen Gesichtsausdruck, wenn sie an ihre Familie dachte, oder ihre nachtblauen Augen, in denen weiße Punkte funkelten, wie die Sterne am Himmel in einer dunklen Neumondnacht.

    Wir haben nie wirklich miteinander gesprochen. Ich konnte kein Isdira und sie kein Garethi, aber wir verstanden uns. Eigentlich ist das einzige, was ich von ihr weiß ihr Name: Taralandriel. Ich nannte sie Sternenauge.

    Ich war der glücklichste Mann Deres und dachte, dass sie mich auch liebte, als sie sich eines Nachts zu mir legte, aber es war nur ihre Art sich zu bedanken. Am nächsten Morgen war sie verschwunden. Ich habe sie nie wieder gesehen.

    Sie hinterließ eine Leere, die auch die Erdmutter nicht füllen konnte.

    Neun Monate später fand ich dich in eine Decke feinsten Bausches gewickelt vor meiner Tür. Um deinen Hals trugst du das Amulett, das ich dir zu deinem zehnten Geburtstag geschenkt habe. Es ist von deiner Mutter.

    In meinem Wald wollte ich nicht mehr bleiben. Außerdem konnte ich dich dort nicht versorgen. So zog ich denn auf verschlungenen Pfaden wieder durch Aventurien – mehr als vier Jahre lang. Bis ich letztendlich hier in Erkenstein wieder einen Platz fand, an dem ich mich niederlassen konnte. Die Zedern hier sind keine Eichen und am Born gab es auch keine Berge, aber in meinen Wald wollte ich nie zurück. Dort erinnerte mich alles viel zu sehr an Sternenauge.

    Deine Mutter hat dich übrigens nie vergessen. Hin und wieder habe ich sie gespürt und die alte Zeder hat mir gesagt, dass sie einmal einen ganzen Tag in ihren Zweigen gesessen und dir zugeschaut hat, wie du Holz gehackt hast.

    Und nun mache das, was du immer gewollt hast und ziehe hinaus in die Welt. Der alte Mann, der dich noch hier festgehalten hat, ist tot. Übergebe meinen Leib dem Humus – dem Element, dem ich immer auf irgendeine Art angehört habe – und pflanze dort eine Eiche. Mit den Blättern, die im Wind rauschen, werde ich meine Geschichte weiter erzählen – noch viele Jahre lang.

    In Liebe

    Jordano Falkenstein

    Dein Vater


    Langsam ließ der junge Mann den Brief sinken und seine Augen ruhten sanft auf dem schmalen Bett in dem der Tote ruhte.

    Jordano Falkenstein war diese Nacht für immer eingeschlafen. Die faltigen Gesichtszüge des alten Mannes wirkten gelöst. Selbst die sonst so tiefe Stirnfalte schien glatter als sonst.

    Gedankenverloren ließ er die Eicheln durch die Hand gleiten, die neben dem Brief auch noch in dem Umschlag waren. Obwohl jetzt Frühling war, wirkten sie so frisch, als wären sie gerade eben vom Baum gefallen.

    Er machte sich keine Sorgen darum, ob sie auch keimen würden. Der Druide hatte auch hier einen Ort ausgesucht, an dem Sumus Kraft groß war. Der Körper des alten Mannes würde den Baum gut nähren und die Eiche würde ein starker Baum werden, selbst wenn die Lage eigentlich zu hoch für sie war.

    Fast unbemerkt rollte eine Träne über seine Wange. Er wusste genau, wo er seinen Vater begraben würde. Ungefähr eine halbe Meile entfernt gab es ein kleines Plateau an den Hängen des Gebirges. Das war sein Lieblingsplatz gewesen. Er hatte sich eine kleine Bank gebaut und saß in den letzten Jahren gerne dort und schaute hinunter in das Tal des Erkin, der der Stadt seinen Namen gegeben hatte. Es hatte immer so ausgesehen, als hätte er dort auf jemanden gewartet und jetzt wusste er auch auf wen.

    Unwillkürlich griff er zu dem Amulett, das er seit seinem zehnten Lebensjahr um den Hals trug.

    Er wusste genau wie es aussah. Auf der zweieinhalb Finger großen Knochenscheibe waren am Rand und auf der Rückseite seltsam ineinander verschlungene Zeichen eingeschnitzt. Auf der Vorderseite prangte ein großes Auge. In der schwarz eingefärbten Iris waren winzige Splitter aus Bergkristall eingearbeitet, die bei dem richtigen Lichteinfall strahlten wie Sterne.

    Er brauchte keinen Spiegel um zu wissen, dass seine eigenen Augen genauso aussahen.

    Der junge Mann gab sich einen Ruck. Heute würde er seinen Vater beerdigen. Morgen würde er zum Perainetempel gehen und melden, dass Magister Jorando Falkenstein gestorben sei.

    Die alte Jatha würde zwar schimpfen, dass er nicht auf dem Boronanger beigesetzt würde, sich aber dann doch nicht davon abhalten lassen hier hinaufzusteigen um einen Segen über dem Grab zu sprechen.

    Übermorgen würde er Erkenstein verlassen. Der alte Mann hatte recht gehabt. Nur seinetwegen war er noch geblieben.

    Er dachte an die Worte seines Vaters: „Ich wollte dich nur vorbereiten.“

    Ja, das hatte er getan! Sein Blick wanderte zu der Tätowierung auf seinem rechten Unterarm. Das war ein Gefallen gewesen, den ein Rashduler Magier seinem Vater noch schuldete. Nur bei genauer Kontrolle würde auffallen, dass das Siegel nicht echt war. Für fast alle Aventurier würde er der Adeptus eines privaten Lehrmeisters sein. Druiden waren nicht überall gerne gesehen und so musste er seine Fähigkeiten nicht andauernd verbergen.

    Sein Vater hatte eine ähnliche Tätowierung gehabt und er hatte Zeit seines Lebens nie Schwierigkeiten bekommen. Deswegen galt er hier auch als Magier.

    Jasango seufzte. Wenn er sich nicht beeilte, würde er es heute mit dem Grab nicht mehr schaffen. Der Boden war schwierig und er wollte es tief genug ausheben, damit es nicht wieder von wilden Tieren aufgewühlt werden konnte. Er stand auf und griff nach dem hölzernen Spaten, der draußen an der Wand lehnte.

    Übermorgen würde sich sein Leben ändern. Er würde Erkenstein verlassen und er wäre nicht länger der kleine Sohn von Magister Falkenstein. Nein, er wäre, … er wäre...

    Kurz stockte sein Schritt. Er fuhr sich über die Stirn und steckte eine Strähne seines widerspenstigen Haares hinter ein Ohr.

    Dann lächelte er, als ihm der Spitzname in den Sinn kam, den ihm die Kinder Erkensteins auch heute noch hinterher riefen.

    Er wäre Elfenohr - Adeptus Jasango Elfenohr.

    Und seine spitzen Ohren zuckten, als hörten sie den Lärm der ganzen weiten Welt.

    Ich bin nur verantwortlich für das, was ich sage, und nicht für das, was ihr versteht.