Der Weg der Kröte

  • Ich habe vor einiger Zeit einen neuen DSA 5 Charakter für meine Spielrunde erstellt. Beim Werte steigern kamen mir immer mehr Gedanken zu seinem Leben vor der Heldenkarriere, und ich fragte mich, wie so eine Person eigentlich aufgewachsen wäre. Aus diesen Überlegungen ist eine kurze Geschichte über die früheste Kindheit meines Krötenhexers entstanden.

    Viel Spaß beim lesen!

    (hübscher formatiert gibt's den Text als pdf im Anhang)


    Der Weg der Kröte

    Das Leben des Jungen begann abgesehen davon, dass es ein frischer Sommermorgen war, unter wenig glücklichen Umständen. Noch bevor er den Leib seiner Mutter ganz verlassen hatte, beschloss Schwester Mendoza, ihn aus dem Kreis der Zwölfgöttergläubigen auszuschließen. Die dunkelgrüne, mit Pusteln übersäte Haut auf den winzigen Handrücken stieß die Predigerin ab, und ließ sie an böse Omen denken. Kaum hatte der Kleine seinen Weg in die Welt gefunden, entriss sie ihm des wärmenden Schoßes seiner Mutter. Statt das schreiende Bündel in die bergende Umarmung zu legen, hielt Ferinde Mendoza der vor Schmerz und Anstrengung halb entrückten Frau die Hände des Knaben vor die Augen.

    "Du hast Schuld auf dich geladen! Sieh das Ergebnis deiner Umtriebe!" Sie zeigte die andere, ebenso grüne Hand hin. "Das ist das Stigma Asfaloths, des sich wandelnden Schänders!"

    Auf dem Gesicht der Mutter machten sich Unglaube und Furcht breit. "Aber..." brachte sie kleinlaut hervor. Tränen sammelten sich an ihren Lidern.

    "Ich nehme diese niederhöllische Frucht von dir! Ich übergebe sie den Sümpfen, auf dass sie verfaule und kein Übel über unsere Gemeinde bringe!" Mendoza trug das Kind an einem Fuß hinaus, dass es schrie und sich wand, doch erhielt es keine Hilfe. Sie schlug es fest in grobes Leinen, damit niemand das Dämonenmal sah, und trug das inzwischen stille Bündel fort vom Dorf. Sie ließ Ansvell hinter sich und marschierte fast eine Stunde, bis der Pfad sich im Sumpf verlor.

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    Gara hüpfte auf Aena zu und setzte sich direkt neben das Büschel Donf, dass sie gerade mit ihrer Sichel abschneiden wollte. Mitten in der Bewegung hielt sie jedoch inne und konzentrierte sich ganz auf die Bilder, die die große, hellgrün glänzende Kröte in ihren Verstand projizierte. Sie zeigte ihr Visionen eines Kindes an der Schwelle zwischen Leben und Tod. Morgenkühles Sumpfwasser umspülte das winzige Bündel, und der kleine Kopf drehte sich unablässig auf der Suche nach Hilfe, trotz der noch geschlossenen Augen.

    "Schnell, zeig mir den Weg dorthin!" rief die rothaarige junge Frau, und schwang sich auf ihren knorrigen Wanderstab.

    Kraftvoll stieß sie sich mit beiden Beinen vom Boden ab und erhob sich pfeilschnell in die Luft. Gerade so hoch, dass sie Gara noch erkennen konnte, raste sie über die Tümpel und Schilfbüsche der Altsvelltsümpfe hinweg. Die Kröte legte mit ihren langen Sprüngen ein beachtliches Tempo vor. Der Flug dauerte nur wenige Augenblicke, dann blieb Gara vor einer Ansammlung von Schilfbüscheln stehen und quakte aufgeregt. Aena ließ ihren Stab nach unten stürzen, dass der Wind an ihren Haaren zog. Kurz vor dem Aufprall riss sie die Spitze nach oben, sprang ab und federte ihren Fall mit den Knien ab.

    Sie wühlte sich durch das Dickicht, versank beinahe bis zur Hüfte. Nicht weit neben ihr erscholl das schwache Klagen eines Kindes. Sie drehte sich danach um, und erkannte tief in überwucherten, fauligen Ästen verfangen, ein leinenes Bündel in dem sich ein winziges Köpfchen hilflos regte. Kaum hatte sie das tropfnasse Kind in ihre Arme gehoben und in der Wärme ihres Mantels geborgen, vernahm sie lautes Platschen in der Nähe.

    Zwei Sumpfranzen bewegten sich, gebremst vom schlammigen Wasser, auf sie zu. Die affenähnlichen Wesen bleckten ihre Reißzähne, brüllten und johlten. Aena formte mit der freien Hand eine Geste und sah den Raubtieren in die Augen. Die Ranzen blieben stehen, wackelten mit den Köpfen, traten Wasser, aber fixierten ihren Blick. Das Herz der Hexe hämmerte gegen ihre Brust, sie fühlte ihr Blut aufbrodeln. Aena zog ihre Lider zu Spalten zusammen und Zornesfalten türmten sich zwischen ihren Brauen auf. Sie entließ ein Knurren tief aus ihrer Kehle, und die Sumpfranzen stoben in heller Panik davon.

    Sie schob eine Hand unter das bibbernde Köpfchen und ließ die KRAFT fließen. Das Kind brauchte Wärme, und ihre magisch erhitzten Hände nahmen die Kälte von dem durchgefrorenen Körper. Das Bündel mit dem rechten Arm fest an ihre Brust drückend, schwang Aena sich wieder auf ihren Stecken. Auf ihr Nicken hin sprang Gara auf ihre Schulter und versteckte sich in der weiten Kapuze. Dann stieß sie sich erneut vom Boden ab und flog – diesmal vorsichtiger – zum Lager des Zirkels.

    Als sie auf dem Platz zwischen den zwei schiefen Hütten auf der kleinen Sumpfinsel landete, erwartete ihre Mutter sie bereits. Talare war nicht wirklich ihre Mutter, aber sie war die älteste und erfahrenste Hexe des Zirkels der Töchter der Erde in der Gegend und so nannten die Jüngeren sie Mutter. Die Jüngeren, das waren neben Aena, Zylla und Deirdre.

    „Was hast du uns da in Haus gebracht, meine Liebe? Ich konnte das Kind spüren, was ist mit ihm?“ fragte die Alte mit trockener Stimme, in der jedoch immer Freundlichkeit schwang. „Bringen wir ihn hinein. Er braucht Wärme und eine flauschige Decke. Ich erzähle dir drinnen alles.“

    Talare hatte Gara fixiert, während Aena gesprochen hatte. Jetzt sah sie die rothaarige Hexe mit verständnisvollem Blick an. „Es ist gut, sie hat mir alles gezeigt, was ich wissen muss. Deine Vertraute ihr sehr klug. Gib gut auf sie Acht.“ Damit gingen sie in die Hütte. Es roch nach Rauch, Pastinakensuppe und Wiese. Glut von einem Kochfeuer im Lehmofen erwärmte den kleinen Raum, der ansonsten neben einer Kochnische mit Hängeregalen nur einen Tisch mit zwei alten Stühlen und eine Eckbank beinhaltete, auf der einige Felle als Polster lagen. Die Decke war so dicht mit verschiedensten Kräutern behängt, dass die Dachsparren kaum noch zu sehen waren.

    Aena befreite den Säugling aus dem nassen Laken, worauf Talare ihn mit einer sanften Handbewegung auf der Stelle trocknen ließ. Dabei wurde sie der Krötenhaut auf seiner Hand gewahr. „Deshalb haben sie das arme Ding in den Sumpf gebracht.“ stellte die Alte enttäuscht fest. „Es ist immer dasselbe.“ seufzte sie.

    „Wahrscheinlich dachten sie, ein Dämon hätte das Kindchen verflucht. Selbst wenn das ausgemachter Unfug ist, wir sollten den Jungen beobachten. Vielleicht hat es etwas anderes damit auf sich.“ sagte Aena, und wickelte ihn in ein frisches, dickes, weich gewalktes Leinentuch.

    Mit einem Knarren schwang die Tür auf. Die beiden jüngeren Schwestern schlichen herein und reckten ihre Hälse dem Kind entgegen. „Hat er einen Namen?“ fragte Zylla, nachdem Aena sie über die Ereignisse unterrichtet hatte.

    Darauf wusste keine der Frauen eine Antwort.

    „Er muss stark sein, bei allem was er durchgemacht hat. Er sollte Quinn heißen.“ schlug Aena vor. „Aber sollen wir ihn denn behalten?“

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    In seinem zweiten Winter hatte Quinn Spaß daran, die Kerzen und Lampen in den Hütten auszublasen. Er tappte und wackelte zu den Lichtquellen hin, holte tief Luft, und pustete so fest er konnte gegen die Flamme, dass sie ausging. Manchmal lachten die Hexen über den Streich, meistens schimpften sie ihn aber einen Taugenichts, Tagedieb und Tunichtgut. Vor allem Deirdre raubte das Spiel des Jungen die Nerven, war sie doch die einzige im Zirkel, die keine Flamme auf ihrem Finger erzeugen konnte.

    Am Morgen eines Windstags im Hesinde – draußen lag die Welt gefroren da, unter den Stiefeln knirschte der Schnee und eisige Böen trieben die Menschen in ihre Häuser – ließ Quinn sich vor langer Weile gar nicht mehr von seinem Spiel abbringen.

    „Lass das, hab ich gesagt! Die im Dorf müssen wohl doch Recht gehabt haben. Die Niederhöllen müssen dich ausgespien haben, die kleiner Plagegeist!“ schallt Deirdre ihn.

    Doch Quinn ließ sich nicht beirren, wusste er doch, dass alle Herzen des Zirkels ihm gehörten. Aus dem halb erfrorenen Bündel war in den vergangenen Monden ein pausbäckiger Junge mit leuchtend grünen Augen und immerzu strubbeligem, braunem Haar geworden. So stürzte er sich erneut neben die junge Hexe und pustete mit aller Kraft das Talglicht aus.

    Deirdre fuhr zornesrot herum und schrie den Kleinen an. „Du neunmal verfluchter Sohn der Einfalt, lass endlich deinen Unfug sein, sonst lernst du mich kennen!“ rief sie aufgebracht.

    Quinn schrak vor ihrem harschen Ton zurück und trollte sich auf die Bank, wo er die Schultern hängen ließ.

    Bald baumelte er mit den Füßen, schnippte mit den Fingern und starrte dabei fest auf die flackernde, rußende Flamme, als könne er sie allein mit der Kraft seiner Gedanken verlöschen lassen. Der Wind pfiff um die Hüttenecken und zerrte an den Fensterläden hinter seinem Kopf. Wenn doch nur eine kleine Bö zu diesem Flämmchen käme, das wäre ein Spaß, dachte er sich und das Licht flackerte. Angestachelt von seinem Erfolg wünschte er es sich immer mehr, sodass die Flamme tanzte.

    Deirdre prüfte alle Fensterläden, doch sie saßen alle fest und ließen keine Zugluft ein. Unter der Tür wehte ein Hauch hindurch, so legte sie eines der Felle von der Bank davor. Das Flackern jedoch, dachte nicht daran zu verschwinden, es wurde sogar noch wilder. Die Flamme tanzte und wand sich, wurde kleiner und wuchs wieder an, nur um schließlich doch zu verlöschen. Entnervt entzündete die Hexe einen Zweig im Ofen und hielt ihn an den noch qualmenden Docht. Für einen Augenblick wurde es wieder hell im Raum, doch bald begann das Flackern erneut. Diesmal ging es schneller, flickflack, und das Zimmer lag im Dunkeln. Quinn grinste bis über beide Ohren, doch das konnte sie ja nicht sehen, und das freute ihn umso mehr. Wieder begann das Spiel. Diesmal schnippte er, sobald sie sich gesetzt hatte. Ein sachter Hauch raunte durchs Zimmer und das Licht erlosch erneut. Quinn kicherte laut auf vor Freude, denn er konnte sich wünschen, dass die Flamme ausging. Deirdre hörte ihn und kam mit finsterer Miene auf ihn zu. Bevor sie ihn zurecht weisen konnte, hielt sie jedoch inne, und überlegte kurz. Dann reichte sie ihm die Hand und lächelte mit gehobener Augenbraue. „Komm mit, Kleiner. Wir haben Talare etwas zu erzählen.“