Liebschaften

  • Niya besah sich die Stiefel. Sie waren aus gutem Leder, besser als ihre
    eigenen und der Mann hatte kleine Füße, sie würden ihr passen. Also zog
    sie an ihnen und schlüpfte aus ihren eigenen. Aspar lachte schallend
    hinter ihr: „Wenn du mit der Leichenfledderei fertig bist, wollen die
    hohen Herrschaften sicher weiter!“ Sie Söldnerin biss sich auf die Lippe
    und sah über die Schulter zur Kutsche, die sie beschützen sollte. „Ich
    bin hier in der Nähe aufgewachsen und in etwa 300 Schritt gibt es eine
    Herberge, wo sie hohen Herrschaften sicher hinwollen. Es wird spät und
    dort gibt es weiche Betten. Sicher könnt ihr schon voraus reisen. Ich
    komme schon nach und finde euch im Rauchenden Scheit!“ „Wie es dir
    beliebt! Aber lass dir nicht zu viel Zeit! Ich will nicht allein mit dem
    hohen Herrn sein und diesen dummen Söldner. Du bist die Einzige, die
    einen kompletten Satz hervorbringt!“, wieder lachte der vernarbte
    Söldner und klopfte gegen die Kutsche, die sich wieder in Bewegung
    setzte.
    Niya atmete auf und beugte sich rasch über die Leichen der
    Straßenräuber. Die Kutsche war recht schön und trug das Wappen des
    nostrischen Königreiches, doch war sie auch gut bewacht mit acht
    Söldnern auf Pferden. Diese armen Menschen, die nun tot im Gras lagen
    mussten wirklich verzweifelt gewesen sein. Die Söldnerin fingerte an
    einem Amulett herum, es zeigte eine kupferne Münze, die sie nicht
    kannte, aber es sah nett aus und war vielleicht irgendwo etwas wert. Sie
    richtete sich wieder auf und sah sich um. Es war ein schöner Tag, der
    Himmel leicht bewölkt und Vogelschwärme zogen darüber. Die Landschaft
    war friedlich, einige Felder zur linken, ein Forst zur rechten. Sie
    waren erst vor zwei Tagen in Nostria aufgebrochen und hatten die Nächte
    gut in den Ställen von Herbergen am Wegesrand verbracht. Der hohe Herr,
    dem sie anvertraut waren, achtete gut auf die Söldner. Niya hatte noch
    sie so oft Fleisch gegessen, wie in den letzten zwei Tagen. Sie verlieh
    bereits seit mehr als zehn Jahren ihr Schwert, doch hatte sie sich mehr
    schlecht als Recht durch das Leben geschlagen und war nur allzu oft von
    Banditen über das Ohr gehauen worden. Sie hatte sie beschützt und war
    ohne Sold davon gezogen. Sie fürchtete, wenn es ihr bei den hohen
    Herrschaften so gut ginge und sie nur noch für das nostrische Königshaus
    arbeiten würde, würde sie sicher irgendwann nicht mehr in ihr
    Kettenhemd passen. Sie musste grinsen und schob eine ihrer braunen
    Strähnen hinter ihr Ohr. Niya hatte wenig Lust zum Reiten und so nahm
    sie ihren schwarzen Hengst bei den Zügeln und marschierte Richtung „Zum
    rauchendem Scheit“.
    Die anderen Söldner saßen bereits in einer Ecke
    und aßen Fleischeintopf und tranken Bier. Der hohe Herr und seine
    Gesellschaft seiner Schwester, deren Gatte und dessen Bruder, saßen nahe
    des Feuers und nippten am verdünnten Wein. Niya hatte sich die hohen
    Herrschaften noch gar nicht richtig angesehen. Die Frau war wirklich
    hübsch, sodass sich die Söldnerin recht schäbig fand. Sie hatte ein
    rotes Brokatkleid an und Trompetenärmeln und edlen Blumenstickereien.
    Ihr goldenes Haar war aufwendig zu einem Knoten gebunden mit einem
    Haarnetz, indem Halbedelsteine funkelten, ebenso wie auf ihren Haarreif.
    Sie war dezent geschminkt und ihre Augen waren Veilchenblau unter
    schweren Wimpern. Ihr Korsett formte ihren Körper, brachten ihre kleinen
    Brüste zur Geltung und polsterten ihren kleinen Hintern. Niya sah an
    sich selbst herunter, sie war sicher mehr als fünf Jahre älter als die
    hohe Dame, hatte schmutzig braunes Haar, welches sie einfach wild in
    einen Zopf gebunden hatte, damit es beim Kämpfen nicht stört. Ihre
    Gesichtszüge waren harte, ihr Kiefer trat hervor. Ihre rehbraunen Augen
    hatten keinen Glanz und eine hässliche Narbe verunstaltete ihre Nase.
    Ein Stück von ihrem rechten Ohr und an ihrer rechten Hand fehlte einem
    Finger die Kuppe. Ihre Haut war nicht weich und geschmeidig von Ölen,
    die Hände rau und voller Hornhaut, wo sie ihr Schwert hielt. Die drei
    Männer waren in schönster Seide gehüllt, wobei wohl die Fibeln, die ihre
    Umhänge hielten mehr wert waren als der Sold von Niyas gesamtem Leben.
    Sie waren wie kleine Fische geformt mit Granulaten als Schuppen und
    Lapislazuli als Augen. Der hohe Herr war wohl der Älteste, so alt wie
    die Söldnerin. Obwohl sein kurzes Haar bereits grau war, waren seine
    Gesichtszüge ebenmäßig. Er hatte wie seine Schwester Veilchenblaue,
    kluge Augen, doch waren die Haare sicher dunkler gewesen. Seine Nase war
    schwungvoll gebogen, was ihn sehr zierte, und einen gestutzten
    Kaiser-Eslams-Bart. Die beiden Brüder waren sich sehr ähnlich, sie
    wirkten wie Zwillinge, sie hatten schwarzes, gelocktes Haar, weiche,
    weiße Haut und ihre Augen glänzten vom Wein. Niya nahm all das auf und
    bemerkte nicht, wie sie die hohen Herrschaften begaffte. Der hohe Herr
    bemerkte ihren Blick und seine Augen blitzten fröhlich auf, erschrocken
    sah sich die Söldnerin um und marschierte zu ihren Kameraden. Sie
    errötete ihres Fehltrittes.
    Aspar lässt seine schwere Pranke auf ihre
    Schulter fallen: „Du hast die hohen Herrschaften angestarrt! Steht da
    etwa jemand auf Oberyn Kasmyrin.“ Niya lacht und schlägt die Hand ihres
    Kameraden zurück: „Ich bin doch keine 16 mehr! Und eine Hure auch
    nicht!“ Der alte Söldner schiebt ihr einen Bierkrug hin, vom Alter her
    könnte er ihr Vater sein: „Nein, mein Kind! Die 16 liegen weit hinter
    uns beiden und du bist eine stolze Kriegerin, die es nicht nötig hat den
    hohen Herrschaften die Stiefel zu lecken.“ Sie nahm lächelnd einen
    tiefen Schluck des warmen Bieres, es schmeckte furchtbar und sie verzog
    das Gesicht.
    Die acht Söldner wurden im Stall untergebracht, warm bei
    den Pferden und auf duftendem, weichem Heu. Zwei der Söldner lagen in
    rahjagefälliger Umarmung und ihr Keuchen erfüllte die Stille der Nacht.
    Alrik lehnte sich zu Niya und flüsterte: „Diese Geräusche machen mich
    ganz wild. Na, wie wäre es mit uns?“ Aber sie schob den grobschlächtigen
    Söldner von sich, ihr behagten die Geräusche nicht. Es wäre nicht so,
    als hätte sie noch nie bei einem Manne gelegen. So wie sie nicht ihr
    genaues Alter kannte, so kannte die Kriegerin auch nicht die Anzahl
    ihrer Liebhaber. „Ich bin keine 16 und keine Hure!“, wisperte sie, mehr
    zur Decke als an jemanden bestimmtes gerichtet.
    Die Reise führte an
    Bauernhöfen und Weilern vorbei, alles eingebettet in die friedliche
    nostrische Landschaft. Vögel sangen, Rehe tranken an klaren Bächen und
    Dachse flohen vor der Kutsche und den Reitern. Die hohen Herrschaften
    nutzten den warmen Frühling und ritten nun meist selbst. Oberyn Kasmyrin
    auf einer kastanienbraunen Stute ritt als Ältester vor der Kutsche und
    ließ sich die Sonne auf das Gesicht scheinen. Sie hatten die Tommel
    hinter sich gelassen. Niya stand es nicht zu, zu fragen wohin es ging.
    Sie merkte nur, dass sie in Richtung Süden, zum Farindelwald,
    marschierten. Zunächst hatte sie geglaubt, es ginge zum Thuransee, aber
    dieser lag direkt an der Grenze zu Andergast, aber sie machten einen
    Bogen nach Albernia. Vermutlich sollte die Gesellschaft nach einigen
    Lehen und Vasallen des nostrischen Hauses schauen auf ihren Weg nach
    Albernia. Aspar wusste das der Schwager von Oberyn albernische Verwandte
    hatte und so fügte sich das Ziel ihrer Reise. Die beiden ritten neben
    einander und unterhielten sich. Niya fragte den Veteranen, woher er so
    viel über die Herrschaften wusste. „Weißt du, mein Kind“ Es ärgerte sie,
    dass er sie so nannte und die übrigen Söldner machten sich über sie
    lustig. „Ich bin schon länger im Geschäft als du und auch wenn du noch
    nie dem Adel gedient hast, spricht das nicht für mich!“ Der hohe Herr
    Kasmyrin ließ sich zurückfallen und ritt nun neben den zwei Söldnern.
    „Was für ein herrlicher Tag!“, frohlockte er gut gelaunt. „So ist es,
    mein Herr“, nickte Aspar. „Die Götter sind Eurer Reise wohlgesonnen.“
    „Eurer Mundart nach zu urteilen stammt ihr aus dem weid´nischen?“,
    fragte der Adlige. Aspar verneigte sich knapp in seinem Sattel: „So ist
    es, mein Herr. Ihr habt ein ausgezeichnetes Gehör und gutes Wissen über
    die Mundarten!“ „Ich bin einfach viel herum gekommen und die Sprache ist
    eine Leidenschaft von mir. Sagt, warum seid Ihr kein Ritter geworden,
    bei Euren Talenten?“ „Ich war ein Bastard eines Adligen und meine Mutter
    von niedriger Geburt. Er hat sie bezahlt für die Nacht meiner Zeugung
    und nach meiner Geburt ihr einige Taler zukommen lassen. Mit meinem
    hohen Vater hatte ich Lebtages nicht zu tun.“ „Vielleicht könnten wir so
    gute Kämpfer in der nostrischen Garde gebrauchen.“, überlegte Oberyn.
    „Ich reise gerne mit Söldner, die Gardisten kenne ich, sie langweilen
    mich und so lerne ich neue Menschen kennen. Ihr wärt sicher ein guter
    Ausbilder für die Schwachköpfe in Nostria, die unsere Königin schützen
    sollen! Und Eure Freundin?“ Er wandte sich an Niya, die sich versteifte,
    sie war noch niemals von einem Adligen angesprochen wurde. „Woher
    stammt Ihr?“ „See… Seewiesen…“, murmelte sie und fügte schnell hinzu:
    „Mein Herr…“ „Das am Thuransee?“, fragte der Kasmyrin nach. Sie nickte
    stumm. „Stimmt es, dass seine Bewohner nur untereinander heiraten?“ Sie
    nickte wieder und sagte mit trockenem Mund: „Ja... ja, mein Herr. Aber
    meine Mutter hat sich in einen… einen...“ Solche Angst hatte Niya noch
    nie erlebt und sie hatte schon oft gekämpft mit Golgari vor Augen. „Vom
    anderen Ufer… He... Herr“ „Euer Vater war also Andagaster?“, lachte der
    Adlige. „Aber Ihr seid in Nostria aufgewachsen? Das hört man an Eurer
    Stimme.“ Sie nickte mit zugeschnürtem Hals. „Recht so!“, lachte Aspar um
    die angespannte Stimmung zu überbrücken und klopfte der Söldnerin auf
    die Schulter. „Nostria! Nostria! “ Niya überhörte ihren Kameraden, sie
    konnte später nicht mehr sagen warum, aber sie hörte sich
    weitererzählen: „ Meine Mutter musste ihren Bruder heiraten, weil sie
    schwanger war. Als der Bruder Jahre später von dem leiblichen Vater
    erfuhr, war es eine Schande für meinen Onkel, er war ein Patriot. Er
    hielt es für einen Ehrenmord, meine Mutter und mich zu… Mein leiblicher
    Vater rettete mich und zog mit mir nach Salza…“ Sie stockte und
    räusperte sich: „M... Mein Herr! Verzeiht!“ Sie biss sich auf die Zunge,
    das hatte keinen zu interessieren und schon gar keinen Adligen aus dem
    Königshaus! „Was für eine traurige Geschichte“, seufzte Oberyn
    mitfühlend. „Dem berühmten Barden Marillion hätte sie sicher gefallen.
    Familie kann man sich leider nicht aussuchen. Wie Ihr wisst, ist auch
    das Geschlecht der Kasmyrin starb dezimiert. Auch meine Eltern und unser
    Bruder raffte die Blaue Keuche dahin…“ Niya war traurig und ärgerte
    sich über sich selbst, wie konnte sie so dumm sein. So nickte sie nur
    und murmelte: „Das tut mir wirklich leid, mein Herr…“
    Die
    Gesellschaft kam an eine Kreuzung mit einer Herberge, Der arme Kamin.
    Dort kehrten sie ein und Oberyn setzte sich zu den Söldnern und scherzte
    mit ihnen. Niya traute sich nicht ihn anzusehen. So verabschiedete sie
    sich schnell und trat in die Kühle der Nacht hinaus. Die Sterne
    funkelten über ihr und Mada präsentierte sich als Sichel. Niya zog ihren
    Umhang enger und machte sich auf dem Weg zum Unterstand der Pferde, als
    sie die Geräusche und Wärme der Schankstube wahrnahm, als sich die Tür
    wieder öffnete und schloss. Oberyn Kasmyrin stand im Eingang und seine
    Augen huschten durch die Dunkelheit. Die Söldnerin drückte sich in den
    Schatten eines Baumes und ihr Herz schlug ihr bis in den Hals. Sie
    spürte wie Verlangen in ihr aufflammte. Nein! Schrie sie in Gedanken und
    presste die Augen zu. Doch nicht ein Adliger und sie! Sie war von
    geringer Geburt und hässlich. Er war so schön und klug und nett und… Sie
    spürte seine weichen Lippen auf ihren und ließ sich fallen. Sie öffnete
    den Mund und ließ seine Zunge mit ihrer spielen. Sie unterdrückte ein
    Seufzen, als sie seine warme Hand über ihren Körper streichen spürte.
    Nach
    einigen weiteren Tagen in denen sie noch einmal von Straßenbanditen
    heimgesucht wurden und Niya jede Nacht mit Oberyn verbrachte, gelangten
    sie nach Abilacht, dem Ziel ihrer Reise. Die Söldner wurden ausgezahlt
    und ihnen das Angebot unterbreitet in einem Mond die Gesellschaft wieder
    nach Nostria zu begleiten. Aspar nahm Freudestrahlend an, das Angebot
    der Ausbilder der nostrischen Gardisten zu werden klingelte in seinen
    Ohren. Niya sagte nichts, sondern zog einfach gen Süden. Sie hatte gut
    verdient und konnte sich in einer anderen Stadt Arbeit suchen. Es war
    nie gut mit zu vielen Dukaten im Beutel rumzulaufen und so würde sie
    nicht sofort Arbeit annehmen. Sie wollte nach Kyndoch, vielleicht könnte
    sie mal auf einem Handelsschiff anheuern. Hoffentlich würde ihr darauf
    nicht schlecht werden, den seit sie allein auf dem Weg war, war ihr
    morgens immer übel gewesen.