Wildnischaraktere und städtische Abenteuer

  • Hallo Orkenspalter,

    [ganz kurz: sollte hier jemand aus meiner Gruppe aus irgendeinem Grund mitlesen, wäre es in eurem eigenen Interesse nicht weiterzulesen, wir haben gestern Abend kurz gespielt und es endete damit, dass alle schlafen gingen ;) ]


    ich meistere gerade meine erste Gruppe und habe zu dem Zweck ein eigenes, sehr kurzes Einstiegsabenteuer (kleiner Kriminalfall in Ferdok) geschrieben, um die Gruppe miteinander bekannt zu machen und unseren beiden Erst-Spielern zu zeigen, wie DSA und insb. ein Abenteuer funktioniert, bevor ich in zunächst offizielle Abenteuer einsteigen wollte.

    Ich habe bei der Erstellung des Abenteuers drauf geachtet, dass ich für jeden irgendwelche Glanzmomente einbaue und jeder mal zeigen/ausprobieren kann, was sein Charakter für Stärken und Schwächen hat. Allerdings hatte ich beim Schreiben des Abenteuers nicht damit gerechnet, dass sich gleich zwei der Spieler (davon eine der beiden Neueinsteiger) sich für absolute WIldnischracks ohne sonderliche Sozialkompetenz entscheiden, namentlich einen Grenzjäger aus dem Bornland und eine nivesische Jägerin. Beide spielen ihre Rolle auch passend, sind dadurch aber nicht weniger „fehl am Platz“. Die anderen hingegen kommen gut zurecht, wobei unser Magier ziemlich dominant ist (was sowohl an seinem eigenen Charakter, als auch an seinem Magier selbst liegt). Natürlich weiß ich, dass ich das Abenteuer nicht einfach auf Wildnistauglichkeit ummünzen kann, aber irgendwelche sinnvollen Möglichkeiten muss es doch geben?!

    Meine (wie ich fand) beste Idee ist leider etwas aus dem Ruder gelaufen. Ich habe mich im wunderschönen die Welt mit Leben füllen-Thread bedient und einen Jungen als Mutprobe versuchen zu lassen, die "Hexe" (unsere Nivesin) mit einem Eimer Wasser zu übergießen. Kurze Zeit später tauchte dann der verweinte, 4-Jährige Bruder des Streichspielers auf, weil er Angst hatte, dass die Nivesin seinen Bruder jetzt verflucht hätte.

    Mein Plan war eigentlich, dass die Spielerin die Gelegenheit hat, ein wenig sich vorzustellen, dem Jungen die Angst zu nehmen und so ein wenig mit Vorurteilen aufzuräumen und dabei zu Wort zu kommen. Sie hat sich dann aber entschieden, dem Jungen zu sagen, dass sein Bruder sterben wird, wenn er nicht auf der Stelle abhauen wird. Als der Junge dann schreiend wegrannte kam unser Magier noch auf die glorreiche Idee, diesen mit seinem Stab zu "fangen" (Stab unter das Hemd des Jungen schieben und diesen hochheben), was ihm zu allem Überfluss noch gelang. Ihr könnt euch also vorstellen, wie ein recht großer Magier in Robe einen schreienden, heulenden Vierjährigen an seinem Stab baumeln hat. Ich hatte echt Mühe, die Situation einigermaßen zu deeskalieren, ohne insb. dem Magier viel Ärger mit der Stadtwache einzuhandeln und so das einfache Einstiegsabenteuer völlig aus dem Ruder laufen zu lassen.

    Habt ihr da vielleicht auch gute Ideen, die weniger Eskalationspotenzial bieten und am besten auch unseren Grenzjäger ansprechen?

  • Wildnischaraktere in der Stadt und Stadtcharktere in der WIldnis haben wenig zu tun, das ist leider so und ein Problem, auf das die meisten Gruppen irgendwann stoßen. EIne Antwort ist Kampf: Der Jäger kann auch in der Stadt schießen, der Horasier auch in der Wildnis die bösen Buben mit dem Degen piksen. Darum finde ich wenigstens einen guten Kampf im AB auch wichtig. In deinem Fall hat z.B. der Grenzjäger sicher Erfahrungen im Kampf, die Jägerin wird eine passable Bogenschützin sein.
    Ansonsten müssen sich die Spieler aufs Rollenspiel verlagern und ausspielen, wie ihre Helden auf diese völlig fremde Umgebung reagieren.
    Ein Tipp: Vergieb viele Besondere Erfahrungen für das agieren in fremden Gegenden, so dass Wildnishelden Grunderfahrungen in Menschenkenntnis, Überreden, Etikette und Stadthelden in Wildnisleben, Orientierung usw sammeln können - dann können die sich zukünftig auch nützlich machen.

  • Da Wildnis und Gesellschaft sowieso schon recht günstig zu steigern sind, ist es so, dass sehr bald auch die Naturcharaktere sich in der Stadt auskennen und die Gesellschafter sich ebenso bald im Wald zurecht finden. Das Problem ergibt es deshalb mit der Zeit. ;)

    Aber zu deinem Problem: Wenn Du nicht möchtest, dass solche Situationen häufiger eskalieren, dann müssen da IT auch Konsequenzen kommen. Je nachdem wessen Kinder das denn waren:

    • Vielleicht kommt jemand vorbei und sieht sich die "Hexe" und den "Finstermagier" mal genauer an
    • oder es hat keiner mehr sonderlich Lust den SCs beim Aufklären ihres Kriminalfalls zu helfen (vergehen sich schließlich an unschuldigen Wehrlosen)
    • oder ihr Gegenspieler nutzt die Stunde, um ein paar mehr Gerüchte zu streuen, damit sie andere Probleme haben als diesen Kriminalfall zu lösen.

    Wobei es aber nicht verkehrt ist das Ganze mal OT anzusprechen. Damit die Spieler nicht meinen Du willst sie selbst ärgern anstatt die Welt darstellen. Es kommt häufig vor, dass Probleme um die man sich nicht kümmern will oder man eigentlich keine Zeit hat oder man sich nicht rein finden möchte oder zu peinlich sind um es ausspielen, eben mit mehr Gewaltbereitschaft begegnet wird - auch aus Unsicherheit.


    Um Nivesin und Bornländer etwas mehr in den Plot einzubinden:

    • könnte ein Informant im Abenteuer ein Nivese oder Bornländer sein, dem irgendein Unglück passiert ist und sich in der Fremde der Trunkenheit hingegeben hat. Damit er ihnen erzählt, was er weiß müssen die zwei erst Vertrauen zu ihm aufbauen.
    • Oder der Naturcharakter der nicht mit in die Taverne zum Informations sammeln möchte, sieht eben die verdächtige Person durch den Hintereingang verschwinden, als die anderen SCs anfangen die unschönen Fragen zu stellen.
    • Ganz klassisch wäre, dass der Schuldige inzwischen über Feld und Wiesen geflohen ist, sodass die SCs ihn dank der Naturkenner erst einholen und stellen können.

    I ♡ Yakuban.

  • Der ganze Vorfall ist eine gute Gelegenheit zu zeigen, wie Aberglaube und Angst schnell und unkontrollierbar um sich greifen können. In so einem Fall merkt man dann auch ganz deutlich, wie es einem rechtlosen Ausländer (Nivesin) ohne Status ergeht und warum solche Fahrenden am Besten nicht negativ auffallen. Dazu noch Kultur- und Sprachprobleme und das Durcheinander ist perfekt.

    Wichtig ist dabei, dass Deine Stadtbewohner nicht völlig kopflos und feindlich bei den Spielern ankommen. Als aufgeklärte Städter kann die Mehrheit ruhig auf die Stimme der Vernunft hören, doch deshalb schreien die Abergläubischen umso lauter.

    Normalerweise wäre der Magier bei einem "Hexenproblem" auf Grund seiner Fachkenntnis und seines Status ein guter Ansprechpartner. Da er momentan aber selbst verwickelt ist, ist er ebenfalls etwas "unglaubwürdig".

    Eine sehr gute Gelegenheit für ein Gespräch von Gesetzeshüter (Stadtbüttel) zu Gesetzeshüter (-> Grenzreiter). Auch wenn dieser zu den reisenden Professionen zählt, ist er kein eremitischer Waldwutzel, sondern der lange Arm seines Herren (wenn auch in der Fremde natürlich ohne Befugnisse!) und muss deshalb auch so manche Sozialkompetenz unter Beweis stellen (weshalb er auch ab Start Punkte in Etikette, Menschenkenntnis etc. bekommt), wenn auch weitaus seltener als seine Kollegen (Dorfbüttel, Stadtgardist, Straßenwächter...).

    Dafür sollte er sich umso besser mit echten Waldwutzeln auskennen, schließlich sind das seine "Kunden". Als Bornländer dürften dazu auch Erfahrungen mit den Nivesen gehören. Er sollte also in der Lage sein, ihre andere Kultur und die ihnen oft unbekannten Sitten der "zivilisierten Leute" zu verdeutlichen und so die Wogen glätten können. Im Idealfall kann man dann die Nivesin hinzu holen, um (wie eigentlich geplant) sich und ihre Herkunft vor zu stellen.

    Wenn diese Idee nicht von den Spielern selbst kommen sollte, fordert einfach der Gardist an passender Stelle "nun ich möchte das von der Verdächtigen selbst hören..." . Generell bieten Dir die Wachen eine gute Gelegenheit die Kontrolle über die Situation zu übernehmen. Sie sind es nämlich, die als Vertretung der Staatsmacht hier die Ansagen machen (gleichwohl Leute mit gutem Stand und Ansehen unter den Helden natürlich angemessen respektvoll behandelt werden -> z.B. der Gildenmagier von einem Adjutanten des Wachhauptmanns während der "Verhöre" "unterhalten" wird).

    Die Fremden ins Wachhaus zu "begleiten" ist eine gute Gelegenheit die Situation zu deeskalieren (-> unbedachte Aussagen der Helden werden nicht gleich vom aufgeheizten "Mob" mitgehört).

    Als SL kannst Du die Situation auch nutzen, um den beiden Spielern ihre bornische Heimat (im weiteren Feld haben damit ja auch viele Nivesen zu tun) etwas näher zu bringen. Im Bornland steht der Bronnjar (Herrscher) knapp hinter den Göttern und dessen Glanz überträgt sich natürlich auch etwas auf seine Handlanger (wie den Grenzreiter) und die einfache Bevölkerung hat i.d.R. gehörigen Respekt (oft gar Angst vor ihrem Herren).

    In einer mittelreichischen Stadt hat das Volk schon deutlich mehr Standesbewusstsein und die "Handlanger" müssen etwas diplomatischer Vorgehen, als es der Grenzreiter "linke Hand des Stellvertretenden Gottes" gewohnt ist. Alleine schon weil es natürlich nur wenige Gardisten und sehr viele Einwohner sind!

    Am Ende sollte so das "Missverständnis" aufgeklärt werden, die Nivesin als "Fremde, die sich mit den Bräuchen nicht auskennt, aber keine Hexe ist" rehabilitiert werden und die Ferdoker als einsichtige und gemächliche (wenn auch etwas abergläubische) Leute herüber kommen, die spätestens nach einer abschließenden Entschuldigung der Nivesin die Sache auf sich beruhen lassen. Während der Bornländer erste Eindrücke einer (vielleicht etwas schwer nachvollziehbaren) freieren Welt bekommt.

    Während die Nivesin die Erkenntnis gewinnen kann, dass es gut ist wenn man Leute mit Status zu seinen Freunden zählen kann. Denn scheinbar ist Status in dieser feudalen Welt eine sehr wichtige Sache...

  • Wichtige Wildnistalente, die man auch ausserhalb der Wildnis braucht, sind z.B. Faehrtensuchen und Fesseln/Entfesseln. Die sollten sich recht leicht in das AB einbauen lassen.
    Ansonsten sind Wildnischaraktere nicht nur im Kampf-, sondern auch in Koerperlichen Talenten gut, also Klettern, Athletik, Sinnesschaerfe.

    Also ich sehe da viele Moeglichkeiten. Es wird einfacher, die Wildnis-SCs zu integrieren, wenn du etwas mehr Action einbaust und weniger reine Interaktion mit NSCs. Also z.B. schwer zugaengliche Tatorte (Klettern, Faehrtensuchen), ein Dach oder ein Keller, eine Verfolgungsjagd (des Taeters oder eines [zwielichtigen] Zeugen), sowas.

    Du kannst auch gut den Vorfall mit dem Kind nutzen, um eine Verfolgungsjagd zu provozieren. Ein Verwandter oder jemand in der Art erfaehrt von dem Vorfall, der ist aber leider ein wichtiger Zeuge. Er haut ab, sobald er Hexe oder Magier sieht, weil er/sie auch um sein Leben fuerchtet. Also muessen die SCs den Zeugen dann verfolgen (oder finden) und die anderen SCs (nicht Hexe und Magier) muessen ihn dann erstmal beruhigen, bevor er/sie mit den SCs spricht.
    So kann man auch auf recht entspannte Weise zeigen, dass das Handeln der SCs Konsequenzen hat.

  • Hallo,

    Vielen Dank für eure guten, detaillierten Antworten. Ich denke ich werde damit ein paar schöne Momente für unsere Wildnisprofis basteln können, sodass die sich nicht nur zu reinen Statisten degradiert fühlen werden.

    Die Situation mit dem Kind habe ich übrigens so gelöst, dass die Mutter sich ihren Sohn geschnappt hat (und dem Magier eine deftige Ohrfeige verpasst hat). Ich habe dem Magier aber OG gesagt, dass das wirklich sehr schief gehen kann, in dem Moment wollte ich aber unserer Gruppe nicht riesen Schwierigkeiten auf den Hals hetzen, da ich merkte, wie sich die Leute langsam in ihren Charaktern zurechtfanden (das war nach ca. 30-60 Min Spielzeit, also wirklich sehr früh) und ein Einschreiten der Wache (oder gar Praios-Geweihten) in dem Moment wirklich das Abenteuer völlig gesprengt hätte.

  • in dem Moment wollte ich aber unserer Gruppe nicht riesen Schwierigkeiten auf den Hals hetzen, da ich merkte, wie sich die Leute langsam in ihren Charaktern zurechtfanden (das war nach ca. 30-60 Min Spielzeit, also wirklich sehr früh) und ein Einschreiten der Wache (oder gar Praios-Geweihten) in dem Moment wirklich das Abenteuer völlig gesprengt hätte.

    Das ist finde ich genau richtig. Natuerlich sollte man den SCs jederzeit Konsequenzen ihres Handels aufzeigen, man moechte ja eine lebendige Welt erschaffen, aber man muss die Art der Reaktion gut abwaegen.
    Eine Ohrfeige finde ich da beispielsweise passend, das ist eine unmittelbare Reaktion, die zeigt, dass sich ein Magier nicht alles herausnehmen darf (man muss dann nur aufpassen, dass der Magier nicht eskalierend reagiert), das Auftauchen der Wache waere vllt. schon etwas zu viel, auch weil das relativ voraussetzungsreich ist (die Eltern muessen das Kind ernst nehmen, jemand muss zur Wache gehen und den muss dann die Wache ernst nehmen, die Wache muss dann die SCs finden, etc. pp.)

    Allgemein sollte man finde ich auch zwei Punkte beachten:
    - auf den Putz zu hauen macht Spass (der Butt-Kicker ist ein "Spielertyp", es kann also sogar die Hauptmotivation von Spielern sein, sowas zu machen)
    - insbesondere neue Spieler muessen erstmal ein Gefuehl fuer DEIN Aventurien bekommen und da ist es zu Beginn meist besser, OT darueber zu sprechen, bzw. IT in einem Nebensatz darauf hinzuweisen, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht ganz ungefaehrlich sind.*
    Selbst erfahrene Spieler sind sich meist uneins darueber, was denn genau das angemessene Verhalten eines Magiers ist, wie die Stadtwache darauf reagiert, wie sich Fremde in einem Ort verhalten sollten, u.s.w.

    *Man kann hier auch ganz gut mit aventurischen Erfahrungen und Geschichten arbeiten. Du kannst z.B. erwaehnen, dass einige der SCs wissen, dass ein Magier fuer so eine Drohung in einer anderen Stadt schonmal verhaftet wurde und dann von seiner Gilde freigekauft werden musste (gut, dabei wurde die Drohung gegen einen wichtigen Buerger ausgesprochen, aber egal :) ).
    Evtl. kann man fuer solches Wissen kann man dann auch eine Rechtskunde-Probe oder so verlangen, dann wirkt es weniger wie Beeinflussung.