Noch ein paar Infos zum Vlaam Blok
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Nur fünfzig Kilometer trennen Brüssel und Antwerpen. Doch die Entfernung zwischen dem Zentrum der europäischen Integration und der Hochburg des flämischen Nationalismus könnte nicht größer sein. Ausgerechnet im Herzen der Europäischen Union lebt ein machtvoller Nationalismus, der in seiner Ausprägung oft extremistische Formen annimmt. Ausdruck verleiht ihm die Partei Vlaams Blok. Rund 15 Prozent aller belgischen Flamen wählte bei den vergangenen Parlamentswahlen im Herbst 2000 die fremdenfeindliche Partei. In seiner Hochburg Antwerpen erhielt der Vlaams Blok 33 Prozent. In der Hafenstadt stellt die Partei die größte Stadtratsfraktion.Herren im Flamenland
„Herr im eigenen Land“ wollen die Führer des Vlaams Blok sein, am liebsten in einem selbstständigen Staat Flandern. Einwanderer wollen sie sich vom Hals halten, Ordnung und Sicherheit herstellen, die Verkehrsüberlastung beenden, die Transferzahlungen an den ärmeren französischsprachigen Landesteil Wallonien beenden. Seit der Vlaams Blok 1991 seinen ersten großen Wahlerfolg feierte, damals mit 10,4 Prozent in Flandern, gilt die Partei als eine der radikalsten unter den europäischen Rechtsparteien.
Sammlung der Randständigen
Jahrzehnte der Reformen haben Belgien einen weitgehenden Föderalismus mit umfassenden Autonomierechten zwischen den Landesteilen Wallonien, Flandern und Brüssel, das Recht der Flandern auf die eigene Sprache, die paritätische Besetzung der Verwaltung, eine angemessene Vertretung in Regierung und Parlament gebracht. Nun sammelt der Vlaams Blok die Stimmen jener, die sich ausgegrenzt fühlen, obwohl Demokratie und Wohlstandsgesellschaft für alle belgischen Bürger lange durchgesetzt sind. Mehr Männer als Frauen wählen die radikale Partei, junge Leute unter dreißig und solche über sechzig Jahren, viele Arbeiter, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger.
Reich und radikal
Hilflos stehen die etablierten Parteien dem wachsenden Zuspruch gegenüber, den die Radikalen in der Bevölkerung finden. Spätestens seit dem Wahlerfolg der Rechtsextremisten bei der Parlamentswahl haben sie die leichtfertig vereinfachende Vorstellung abgelegt, es handele sich wohl um ein vorübergehendes und auf dem Großraum Antwerpen beschränktes Geschehen. Die Ursache des Phänomens vermag dennoch kaum ein Vertreter der etablierten Parteien präzise zu benennen. Ausländer gibt es in Flandern jedenfalls weit weniger als in Wallonien oder den benachbarten Niederlanden. Die Wirtschaftsdaten sprechen für Flandern: Der Landesteil trägt 60,7 Prozent zum Bruttosozialprodukt Belgiens bei, die Arbeitslosigkeit sinkt kontinuierlich.
Identitätssuche
Bleibt die Suche in der Geschichte, die eine manchmal verzweifelt scheinende Suche nach Identität zeigt. Katholische Wurzeln trennen die Flamen von den weitgehend calvinistisch geprägten Niederlanden genauso wie der weichere Dialekt, der sie im nördlichen Nachbarland zum beliebten Opfer von Karikatur und Volkswitz macht. Doch auch dem französischen Landesteil mit seiner fremden Sprache, seiner Dominanz in Diplomatie und Regierung wie seiner lange Zeit florierenden Industrie fühlt man sich unterlegen.
Fatale Fehleinschätzung
Zwei Kriege verloren die Flamen zumindest der Psychologie nach: Im Ersten Weltkrieg zog sich die Front mitten durch Flandern. Aber die Deutschen, die flämische Universitäten gründeten und die flämische Kultur gegen die französische stärkten, verloren. Gleiches geschah während des Zweiten Weltkriegs und brachte den Flamen den Vorwurf kollektiver Kollaboration mit dem Feind aus den frankophilen Landesteilen ein.
Unberechtigt ist der Vorwurf nicht. Flamen kämpften in der Waffen-SS. Bis heute muss die flämische Nationalbewegung sich mit einer Fehleinschätzung auseinandersetzen. Was sie in demokratischen Zeiten wollten, war die Gleichberechtigung mit den damals vorherschenden Wallonen. Was sie unter Hitler bekamen, war eine rassisch-germanische Bevorzugung, die ihnen auf Jahrzehnte das Stigma von Kollaboration und rassistischer Überheblichkeit anhaften ließ.
Cordon Sanitaire
Inzwischen haben sich die geschickten Propagandisten des Vlaams Blok darauf verlegt, moderne Politikentwürfe zu ihren Gunsten zu verdrehen. Mit radikalen Forderungen nutzen sie die Idee des „Europa der Regionen“ und wollen auf diese Weise am liebsten den unrentablen und ungeliebten Landesteil Wallonien abstoßen - und gleich noch die ehemals flandrischen Landesteile der Niederlande (Scheldemündung) und Frankreichs (die Gegend um Dünkirchen) für ihre „Region“ zurückfordern.
Die etablierten Parteien begegnen solchen Gedanken mit der Bildung eines „Cordon sanitaire“ und regieren lieber in einer Vier-Parteien-Koalition, als dem Vlaams Blok den Zugang zum Bürgermeisteramt in Antwerpen zu öffnen. Doch die Ausgrenzung hat dem Zuwachs der Rechtsradikalen in der Wählergunst keinen Abbruch getan, auch wenn der liberale Ministerpräsident Guy Verhofstadt wiederkehrend betont: „Eines Tages wird diese Haltung Früchte tragen.“
Bruch mit dem „Weiter so“
Vorsichtiger äußert sich der ehemalige belgische Regierungschef Wilfried Martens. Den Aufstieg des Vlaams Blok erklärt er mit einem gefährlichen Phänomen der Demokratie, das sich in vielen westeuropäischen Staaten zeigt: Die etablierten Parteien würden für den Wähler zu verwechselbar, die Verlockung der Extremisten liege oft weniger in ihren Ideen, als im Bruch mit dem „Weiter so“ der Regierenden. Das nutzen die Wortführer des Vlaams Blok aus und präsentieren sich als Märtyrer. „Wir sind weder undemokratisch noch rechtsextrem“, jammert Parteiführer Frank Vanhecke. Doch nach wie vor gilt für ihn die Devise: „Das eigene Volk zuerst“.